W. Schüßler u.a. (Hrsg.): Hiob – transdisziplinär

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Titel
Hiob – transdisziplinär. Seine Bedeutung in Theologie und Philosophie, Kunst und Literatur, Lebenspraxis und Spiritualität


Herausgeber
Schüßler, Werner; Marc, Röbel
Reihe
Herausforderung Theodizee. Transdisziplinäre Studien 3
Erschienen
Berlin 2013: LIT Verlag
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stephan Lauber

Der Sammelband geht auf eine von den Herausgebern 2012 organisierte Vortragsreihe an der Katholischen Akademie Stapelfeld zurück. Die dort gehaltenen Vorträge wurden für die Veröffentlichung durch weitere Beiträge ergänzt. Dadurch entstand – so der im Vorwort erhobene Anspruch – «eine Art Kompendium, das der Gestalt des biblischen Hiob in den verschiedenen Kontexten nachgeht» (6), und zwar in den Themenfeldern I. «Theologie und Philosophie» (11–115), II. «Kunst und Literatur» (116–209) sowie III. «Lebenspraxis und Spiritualität» (211–337).

Teil I wird eröffnet durch eine Einführung in das alttestamentliche Buch Hiob von Theresia Mende (11–29). Das vielschichtige Ringen um Antworten auf die Anfechtung, die das unschuldige Leiden bedeutet, erläutert sie vor dem Hintergrund des literarischen Wachstums des Buches und damit der unterschiedlichen Zeitumstände der verschiedenen Antwortversuche. Leider setzt sie dabei zu selbstverständlich das in ihrer 1990 erschienenen Dissertation entwickelte literarkritische Modell voraus, dessen hypothesenfreudige Grundannahmen sich in der Forschung allerdings nicht durchsetzen konnten. Hans-Georg Gradl stellt die «Reflexionen und Antworten» zum Hiob-Problem im Neuen Testament vor (31–48). Auch wenn sich dort keine direkten literarischen Bezugnahmen auf die alttestamentliche Schrift finden, sind deren Fragen und Anfechtungen in den Themenkomplexen «Zusammenhang von Leid und Schuld», «Gottesbild» und «Herkunft des Bösen» überall gegenwärtig und mit dem Glauben an Christus «lebenspraktisch» schon überwunden. Hans-Gerd Janßen geht in seiner systematischen Annäherung (49–63) zunächst auf die «rationalistische Theodizee» nach Armin Kreiner (Gott im Leid [QD 168], Freiburg i. Br. u.a. 1997) ein, der Theodizee als zu entkräftendes Widerspruchsproblem zwischen vorausgesetztem Gottesbild und der Leiderfahrung auffasst. Überzeugender als durch derartige den Axiomen der traditionellen Gotteslehre verpflichtete Ansätze ergibt sich für Janßen eine Antwort aber durch «die Theodizee des mitleidenden Gottes» der jüdisch-christlichen Tradition. Freilich bleiben alle abstrakten, verallgemeinernden Lösungsversuche (auch der christliche) vorläufig und unzureichend in unserer geistesgeschichtlichen Situation, in der «eine theoretischobjektive Deutung des Weltgeschehens nicht (mehr) möglich ist.» (59) Werner Schüßler (65–94) verfolgt aus der Vielzahl der neuzeitlichen philosophischen Bezugnahmen auf das HiobBuch einen «Strang, den [Immanuel] Kant angestoßen, [Karl] Jaspers unter neuem Vorzeichen wieder aufgegriffen und [Viktor E.] Frankl schließlich anthropologisch gewendet fruchtbar gemacht hat.» (67) Dabei werden sowohl die Tendenz zur Vereinnahmung des Buches im Horizont der jeweiligen philosophischen Konzepte als auch die von ihm ausgehenden Impulse und Anregungen verdeutlicht. Jörg Mertin behandelt die beiden (aus dem Jahr 1843 stammenden) wesentlichen Stellungnahmen Sören Kierkegaards zum Hiob-Buch (95–115). Trotz der sich teilweise widersprechenden Interpretationen und unterschiedlicher Perspektiven auf die biblische Gestalt ist als Leitgedanke die Betonung der Individualität Hiobs auszumachen, der gegen die (in der Dialogdichtung von den Freunden repräsentierte) allgemeine religiöse Lehre auf seinem Recht beharrt und darin am Ende von Gott anerkannt wird – worin auch eine Ideologiekritik der Religion enthalten ist.

Teil II beginnt mit einer Einführung in die «Facetten künstlerischer Darstellung vom Mittelalter bis in die Moderne» von Angela Maria Opel (119–149). Sie zeichnet unter Verweis auf zahlreiche Einzelwerke (mit Bildbeispielen) die Entwicklungslinien der (von kanonischen wie außerkanonischen Traditionen inspirierten) Hiob-Motivik in der westlichen, aber auch (vor allem für die Frühzeit) in der östlichen Ikonographie nach. Dem Thema «Hiob und die Musik» geht Michael Heymel in verschiedenen Zusammenhängen nach (151–171): Zunächst beleuchtet er die motiv-, mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Faktoren, die Hiob seit dem Spätmittelalter zum Schutzpatron (auch) der Musiker werden ließen, referiert dann den Gebrauch des Hiob-Buches in Liturgie und (auch säkularer) Musik von der alten Kirche bis in die Gegenwart und endet mit einem Plädoyer zur Wiederentdeckung des vor allem vom 15.–18. Jh. (auch in Verbindung mit der Verehrung Hiobs als Patron der Kranken) praktizierten Einsatzes von Musik in der Seelsorge an Kranken und Sterbenden. Reinhold Zwick nennt Beispiele für die Hiob-Rezeption im Kino, und zwar in Form der (Tragik-)Komödie (173–190). Dieses Genre entspricht der in der Exegese etwa von J. William Whedbee (vor allem wegen des dafür charakteristischen Merkmals der Wiederherstellung des Helden nach überstandener Krise) vertretenen Gattungsbestimmung des Hiob-Buchs. Die vorgestellten Filme sollen eine solche Lektüre plausibilisieren und veranschaulichen, dass «gerade das Allerernsteste, Abgründigste und Schrecklichste nicht selten nur im Modus des Komischen überhaupt noch sagbar gemacht und gehalten werden kann.» (174) Gerhard Langenhorst bespricht zur Illustration der vielgestaltigen Verwendung des Hiob-Motivs in der zeitgenössischen Literatur Beispiele aus der deutschsprachigen Lyrik, nämlich Gedichte von Robert Gernhardt, Eva Zeller, Johannes R. Becher, Nelly Sachs und Yvan Goll (191–209).

Im ersten Beitrag von Teil III widmet sich Elisabeth Grözinger C. G. Jungs 1952 erschienenem Essay «Antwort auf Hiob» (213–233). Sie versteht Jungs Interpretation der Hiob-Novelle als «bildhafte Inszenierung der Geschichte der Emanzipation des menschlichen Bewusstseins, also als kollektiven Individualisationsprozess» angesichts der historischen Erfahrung der «Trauer und des Verlusts materieller und ideeller Gewissheiten in der Mitte des 20. Jahrhunderts» (232). Christine Görgen tritt in eine «kritische Auseinandersetzung mit Viktor E. Frankls ‹Versuch einer Pathodizee›» ein (235–260). Nach einer Darstellung der Grundlagen der Logotherapie und ihrer Option für einen aktiven und sinnorientierten Umgang mit dem Leid geht sie vor allem auf Missverständnisse ein, die sich aus Frankls Ansatz ergeben können. Görgen relativiert dabei einige (aus der Sicht therapeutischer und seelsorgerlicher Praxis) zu optimistische Annahmen und nennt unterbestimmte Aspekte, ohne die Grundoption Frankls und deren Möglichkeiten in Frage stellen zu wollen. Johannes Brantl präsentiert Hiob in enger Bezugnahme auf den biblischen Text als «produktives Vorbild in der Situation ernster Erkrankung» (261–275). Er aktualisiert die Dekonstruktion der Freundesreden am Buchende als bleibende Mahnung, fremdem Leid nicht mit doktrinären Deutungskategorien sondern einer wirklich am Leidenden orientierten Wegbegleitung zu begegnen, interpretiert das Ringen Hiobs als Prozess der Selbsttranszendierung und Verwandlung und ordnet das alttestamentlich vorbereitete Verständnis stellvertretenden Leidens in eine christologische Perspektive ein. Marc Röbel beschäftigt sich mit dem philosophischen wie lebensgeschichtlichen Umgang mit der Hiob-Situation von Peter Wust (1884–1940), einem Vertreter des christlichen Existentialismus (277–300). Abschließend führt Mirjam Schaeidt noch einmal im Stil einer Geistlichen Schriftlesung durch das gesamte biblische Buch und betrachtet seine zentrale Passagen (301–337).

Dem Hiob-Problem ist niemals befriedigend oder gar abschließend beizukommen – weder denkerisch noch im existentiellen Vollzug. Das betonen nicht zuletzt die Autoren des Bandes immer wieder. Der eingangs erhobene Anspruch eines Hiob-«Kompendiums» kann deshalb wohl grundsätzlich nicht eingelöst werden. Was die Veröffentlichung aber in jedem Fall bietet, sind durchwegs interessante, nachdenkenswerte und fundierte Schlaglichter auf Fragen und Entwicklungen, die im biblischen Hiob-Buch ihren Bezugspunkt haben, wenn auch (das liegt in der Natur von Aufsatzsammlungen) nicht immer mit derselben Stringenz in der Darstellung und (bei manchen der spezialisierteren Themenstellungen) der wünschenswerten Klarheit und Konzentration bei der Erschließung der zum Verständnis notwendigen Kontexte.

Zitierweise:
Stephan Lauber: Rezension zu: Werner Schüßler/Marc Röbel (Hg.), Hiob – transdisziplinär. Seine Bedeutung in Theologie und Philosophie, Kunst und Literatur, Lebenspraxis und Spiritualität (=Herausforderung Theodizee. Transdisziplinäre Studien 3), Berlin, LIT, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 575-577.

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